111. Hauptversammlung der Deutschen Bunsen-Gesellschaft für Physikalische Chemie e.V.
Ionische Flüssigkeiten sind eine international mittlerweile gut akzeptierte Klasse von Lösemitteln mit einigen ungewöhnlichen Eigenschaften. Im weiteren Sinne versteht man darunter alle Flüssigkeiten, die nur aus Ionen bestehen, also auch die schon lange bekannten Hochtemperatursalzschmelzen, im engeren Sinne solche, die sich gemäß der Einschätzung von Paul Walden aus seiner 1914 veröffentlichten Pionierarbeit zwar ähnlich wie Hochtemperatursalzschmelzen verhalten aber Schmelzpunkte um oder unter 100 °C besitzen.
Bis vor etwa 10 Jahren wurden Ionische Flüssigkeiten als eher exotische Lösemittel angesehen, und obwohl manch einer diesem Gebiet damals keine große Zukunft voraussagte, entwickelte sich ein international hoch beachtetes Forschungsgebiet mit bis zu 4000 Veröffentlichungen pro Jahr, aus denen mittlerweile mehrere industrielle Prozesse hervorgegangen sind. Einige der Eigenschaften machen sie für die Physikalische Chemie sehr interessant. Die meisten der Flüssigkeiten haben außergewöhnlich geringe Dampfdrucke, die deren Untersuchung unter den Bedingungen eines Ultrahochvakuums ermöglichen. So können die Grenzflächen fest/flüssig, flüssig/Vakuum und flüssig/flüssig mit einer Vielzahl experimenteller Methoden untersucht werden. In Kombination mit Rastersondentechniken konnte gezeigt werden, dass Ionische Flüssigkeiten erstaunlich fest haftende Schichten auf Festkörperoberflächen bilden, deren Orientierung mit der Flüssigkeit variiert. Das bekannte Konzept der elektrochemischen Doppelschicht kann nicht einfach übertragen werden, ferner besitzen viele Flüssigkeiten in der Volumenphase eine über das Verständnis molekularer Flüssigkeiten hinausgehende nanostrukturierte Ordnung, die sich auf die Materialsynthese, bspw. von Nanopartikeln, auswirken kann.
Für die Elektrochemie sind die weiten elektrochemischen und die weiten thermischen Fenster von hohem Interesse. Einige der Flüssigkeiten sind so stabil, dass man daraus Lithium abscheiden kann, und wegen der Nichtbrennbarkeit der meisten Flüssigkeiten verwundert es nicht, dass sie auch als Elektrolyte für Lithium(ionen)batterien untersucht werden. Mit einer thermischen Stabilität von bis zu 300 °C sind sie ferner eine Brücke zwischen molekularen Lösemitteln und Hochtemperatursalzschmelzen.
In den letzten Jahren hat auch die Theorie enorme Fortschritte erzielt und wichtige Beiträge zum molekularen Verständnis und zur Dynamik Ionischer Flüssigkeiten geliefert.
Ionische Flüssigkeiten sind den Kinderschuhen mittlerweile zwar entwachsen. Nichtsdestotrotz stehen sie alleine schon wegen ihrer Vielzahl erst am Anfang ihrer Entwicklung. Neben der Beantwortung grundlegender Fragestellungen rückt die industrielle Anwendung mehr und mehr in den Vordergrund.